Personentransport: Komplexe Mobilitätsmuster und individuelle Fortbewegung
Der Megatrend Individualisierung bedingt, dass der Bedarf nach Mobilität und individueller Fortbewegung immer stärker wächst. Mobilitätsmuster, die früher linear verlaufen sind, werden vielschichtiger und die Anforderungen der Menschen an die Mobilität verändern sich. Wenn vor 20 Jahren (fast) jeder Personentransport durch ein eigenes Auto gelöst werden konnte, so werden heute immer mehr Aufgaben des Alltags outgesourct, sobald diese nicht permanent benötigt werden – so auch das Auto. Denn dieses steht bei vielen Deutschen ca. 95% des Tages einfach rum. Im Zuge dieser Entwicklung geht die Europäischen Kommission davon aus, dass 2040 der Energiebedarf im Personenverkehr ¼ unter dem Niveau liegen wird, welches noch im Jahr 2014 benötigt worden ist.
Wie ist das möglich? Die Verbreitung von Sharing-Angeboten, das Nutzen des Fahrrades, zu Fuß gehen, die Erweiterung des öffentlichen Verkehrs, die Bildung von Fahrgemeinschaften und die digitale Optimierung des Verkehrs tragen ihren Teil dazu bei, die individuelle Fortbewegung zu verbessern.
Wir haben uns einmal unsere Heimat Münster, die Fahrradhauptstadt Deutschlands, angeschaut und zeigen, auf welche alternativen Fortbewegungsmöglichkeiten zum eigenen Auto die Münsteraner schon heute setzen.
Fahrradhauptstadt Münster
Münster = Fahrradhauptstadt Deutschlands. Denn auf 310.000 Münsteraner kommen hier über 500.000 Fahrräder; im Schnitt sitzt jeder Münsteraner täglich 20 Minuten im Sattel. Über 40% der Fahrten in der Innenstadt werden mit dem Fahrrad zurückgelegt, das ist deutschlandweit der höchste Prozentsatz. Allein auf der Promenade, dem einzigen autofreien Ring Europas, welcher einmal um die Innenstadt führt, fahren täglich 16.000 Fahrräder. Insgesamt besteht 470km Radweg Netz im Stadtgebiet und der Fahrradverkehr wird durch eigene Abbiegestreifen für Radfahrer an großen Kreuzungen, „unechte“ Einbahnstraßen (Einbahnstraßen für Autos, Fahrräder dürfen jedoch passieren) und eigene Fahrradstraßen von der Politik weiter gefördert. Zusätzlich zu den für Fahrradfahrer angepassten Wegen gibt es drei Fahrradparkhäuser, das erste ist bereits 1999 errichtet worden.
Doch die Fahrradkultur hat auch seine Schattenseiten. So weist Münster die dritthöchste Fahrrad Diebstahlquote Deutschlands auf (1.432 Diebstähle auf 100.000 Einwohner) und von 1.570 Verunglückten durch Verkehrsunfälle sind über die Hälfte Fahrradfahrer. Trotz der kilometerlangen Radwege sind diese inzwischen so überfüllt, dass es zu Rückstau an den Kreuzungen kommt. Auch deshalb ist Münster im Jahr 2019 zum ersten Mal seit 16 Jahren von Karlsruhe als „fahrradfreundlichste Stadt“ überholt worden.
Alternativen zum Fahrrad
Obwohl das (eigene) Fahrrad in Münster das Fortbewegungsmittel Nr. 1 ist, gibt es einige Optionen die als Alternativen zur Verfügung stehen, um sich individuell fortzubewegen.
E-Scooter
Seit dem 15. Juni 2019 sind E-Scooter auf deutschen Straßen erlaubt. Hierbei gilt das Mindestalter von 14 Jahren und die erlaubte Höchstgeschwindigkeit beträgt 20km/h. E-Scooter dürfen nicht auf den Gehwegen gefahren werden, es muss der Fahrradweg genutzt werden. Falls kein Fahrradweg zur Verfügung steht, muss auf die Straße ausgewichen werden. In Münster ist der Sharing Anbieter TIER aktiv und stellt bislang ca. 400 Roller zur Verfügung, die Tendenz ist steigend.
Die Nutzung der Scooter ist sehr einfach. Es muss lediglich die App des Herstellers, in Münster also TIER, heruntergeladen werden und schon kann es losgehen. Über GPS wird ermittelt wo der nächste Roller steht und mittels einer digitalen Stadtkarte dorthin navigiert. Zum Entsperren wird der QR-Code des Rollers gescannt und der fällige Betrag wird am Ende der Fahrt automatisch vom Konto abgebucht. Doch trotz der umweltschonenden Energiezufuhr gibt es Kritik an den Rollern. Diese bezieht sich einerseits darauf, dass die Roller überall abgestellt werden können und dadurch Fußwege noch mehr verstopfen. Weiterhin beträgt die durchschnittliche Nutzwertzeit eines E-Scooters derzeit 28 Tage und ist damit nicht so nachhaltig wie zunächst vermutet. Um ihrem Motto „Change mobility for good with us“ (TIER) gerecht zu werden, müssen sich die Hersteller also noch etwas einfallen lassen.
Leihfahrrad Swapfiets
Vielleicht sind Ihnen in den letzten Monaten schon einmal die Fahrräder mit den hellblauen Vorderreifen aufgefallen. Und wenn nicht, dann werden Sie Ihnen spätestens jetzt begegnen. Diese Fahrräder gehören zu der holländischen Leihfahrradfirma Swapfiets und sind seit 2018 in Deutschland präsent. Aufgrund der geografischen Nähe und der fahrradbegeisterten Bevölkerung ist Münster die erste Stadt Deutschlands gewesen, in der die Swapfiets angeboten worden sind. Für eine monatliche Gebühr (19,50 € Normaltarif, Studenten zahlen 17,50 €) können die Fahrräder gemietet werden. Im Mietpreis inkludiert sind bereits sämtliche Reparaturkosten und beim Diebstahl wird für eine Eigenbeteiligung von 60€ ein neues Fahrrad gestellt.
Innerhalb eines Jahres ist die Swapfiets Flotte in Münster auf 5.000 Räder gewachsen. Inzwischen können die Swapfiets bereits in über 20 deutschen Städten gemietet werden. Zusätzlich zu den normalen Fahrrädern werden seit einiger Zeit auch E-Bikes im Sortiment geführt. Dieser Service ist insbesondere für diejenigen interessant, für die bspw. aufgrund körperlicher Einschränkungen die individuelle Fortbewegung ansonsten nicht so einfach möglich wäre.
Bus
Dadurch, dass Münster die größte deutsche Stadt ohne städtischen schienengebundenen Personenverkehr ist, kommt dem Bussystem in Münster eine größere Bedeutung zu als größenmäßig vergleichbaren Städten. Die Busflotte wird von den Stadtwerken Münster betrieben und umfasst ca. 100 Busse. Das ehrgeizige Ziel der Stadtwerke lautet, bis 2030 die gesamt Flotte auf Elektrobusse umzurüsten. Bereits seit 2015 gibt es Elektrobusse in Münster, erst im August dieses Jahres wurde die Flotte von 10 auf 12 Busse aufgestockt. Pro Elektrobus werden jährlich 20.000l Diesel und 50t CO2 gespart und durch die geringeren Betriebskosten sowie Fördergelder des Nahverkehrs Westfalen Lippe werden die Mehrkosten über die Gesamtlaufzeit wieder reingeholt.
Doch wie wird mit dem Thema „Nachtanken“ umgegangen? Die öffentliche Diskussion um Elektroautos dreht sich häufig um die Frage, wie viele Kilometer gefahren werden können ohne nachtanken zu müssen und wie viel Zeit der Tankvorgang in Anspruch nimmt. In Münster werden die Busse teilweise an der Endhaltestelle nachgetankt, die neueren E-Busse haben bereits eine so hohe Laufleistung, dass sie einen halben Tag durchfahren können, bevor sie im Busdepot mit Ökostrom aufgetankt werden. Der Vorgang dauert 35 Minuten, danach ist der Bus wieder einsatzfähig.
Carsharing
Nach den bekanntesten Carsharing Plattformen wie DriveNow oder car2go sucht man in Münster vergeblich. Doch das heißt nicht, dass es kein Carsharing gibt, im Gegenteil: Carsharing hat in Münster eine lange Tradition. Bereits 1992 wurde das sogenannte Stadtteilauto in Münster eingeführt und ist bis heute der größte Carsharing Anbieter Münsters. Im Gegensatz zu bspw. DriveNow ist das Stadtteilauto jedoch stationsbasiert, d.h. man kann das Auto nicht überall abstellen, sondern muss es zur nächsten Station bringen. Da es über 60 Stationen in der Stadt und im direkten Umland gibt, ist allerdings fast immer eine Station zu Fuß erreichbar.
Neben dem Angebot des Stadtteilautos existieren noch die Angebote von Flinkster (ebenfalls stationsbasiertes Carsharing) sowie die privaten Carsharing Vermittlerplattformen drivy und Snappcar. Münster steht also trotz des Fehlens der bekanntesten Anbieter gar nicht so schlecht dar, was auch die Dichte der Carsharing-Fahrzeuge zeigt. Pro 1.000 Einwohner stehen 0,66 Carsharing-Fahrzeuge zur Verfügung, das ist Platz 8 in Deutschland. Auch dieses Ranking wird von Karlsruhe angeführt, 2,71 Fahrzeuge pro 1.000 Einwohner bedeuten unangefochten Platz 1.
Individuelle Fortbewegung mit vernetztem Angebot
Jetzt könnte man sich erst einmal damit zufriedengeben, dass es in Münster bereits vergleichbar viele Angebote für diejenigen bietet, die sich individuell fortbewegen möchten. Doch die Entwicklung geht nicht nur in die Richtung, dass die Mobilitätsmuster vielschichtiger werden und sich die Bedürfnisprofile verschieben. Sondern die Verkehrsmittel werden auch immer häufiger auf dem Weg zu einem Ziel gewechselt. Es ist also wichtig integrierte Mobilitätskonzepte zu entwickeln, sodass nicht auf vier verschiedene Dienste und Apps zugegriffen werden muss, um das Verkehrsmittel zu wechseln.
Diesen Ansatz beschreiten die Stadtwerke Münster bereits, denn mit der „PlusCard“ ist es möglich bargeldlos im Bus und im Taxi zu bezahlen, sein Fahrrad in der Radstation abzustellen und im Parkhaus zu zahlen, ohne zum Parkautomaten zu müssen. Zudem besteht eine Kooperation mit dem Stadtteilauto, um auch Carsharing in das Angebot zu integrieren.
Und trotzdem sind weitere innovative Konzepte notwendig. Denn um ein Fahrrad zu leihen gibt es bisher lediglich das Angebot von Swapfiets, welches monatlich abgeschlossen wird, für den E-Scooter von TIER benötigt man eine eigene App und für die Nutzung der Carsharing Angebote muss zunächst eine Station aufgesucht werden.
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