Digitalisierung und der Logistikstandort Münsterland
Experteninterview:
Franz Vallée über die Digitalisierung und den Logistikstandort Münsterland
Wie ist unsere Region in Sachen Transport und Logistik — insbesondere vor dem Hintergrund einer zunehmenden Digitalisierung der Prozesse — aufgestellt? Welche weiteren Trends werden die Branche künftig beschäftigen? ,,Wirtschaft Münsterland” sprach dazu mit Prof. Dr. Franz Vallée, Studiengangsleiter Master Logistik sowie Vorstand am Institut für Prozessmanagement und Logistik (IPL) der Fachhochschule Münster.
Herr Prof. Dr. Vallée, das Münsterland wird vom LogistikCluster NRW als Tor zum Ruhrgebiet und Brücke in die Niederlande beschrieben. Wie beurteilen Sie als Sprecher der Regionalgruppe Münster/ Osnabrück in der Bundesvereinigung Logistik (BVL) das Potenzial unserer Region?
Die Logistikregion Münster/ Osnabrück ist ein TOP-Logistikstandort mit engagierten und nachhaltig agierenden Unternehmen, meist guter Infrastruktur, hervorragenden Mitarbeitern und der Nähe zu namhaften Hochschulen. Die Vernetzung zwischen Unternehmen, Institutionen und Wissenschaft ist gut, muss weiter über die Landesgrenzen hinweg forciert werden. Wir haben ehrgeizige Ziele für die Zukunft in den Bereichen Infrastruktur, Forschung und Bildung, Nachhaltigkeit und vielen mehr.
Wie hat sich insbesondere der Kreis Steinfurt in den letzten Jahren als Logistikstandort entwickelt?
Im Kreist Steinfurt sitzen namhafte Logistikdienstleister, aber auch Industrie- und Handelsunternehmen, die sehr gut aufgestellt sind. Viele Unternehmen sind dem Endverbraucher gar nicht bekannt, aber hervorragend in ihren Märkten positioniert. Zusätzliches Wachstum ist dabei nur über effiziente Logistik abzuwickeln, daher wird in diesem Bereich auch im Kreis Steinfurt zur Zeit intensiv gearbeitet.
Der Zustand der Verkehrswege ist gerade in Nordrhein-Westfalen ein aktuelles Thema. Wie schneidet hier das Münsterland im Vergleich zu den anderen Regionen des Landes ab?
Wer heute auf den Straßen im Münsterland unterwegs ist, sieht direkt einen Teil des Problems. Natürlich gibt es hier Handlungsdruck, die Infrastruktur hinkt zum Teil dem Bedarf hinterher. Dies gilt für Zubringerachsen wie auch im innerstädtischen Verkehr. Die Zahl der Berufspendler steigt, aber auch die Zahl der Warentransporte. Hier benötigen wir vor Ort intelligente Konzepte wie z.B. im Internet bestellte Waren zum Kunden gelangen.
Sie sind Mitbegründer der Firma VuP GmbH in Münster und beraten Firmen in Sachen Logistik und IT. Mit welchen Herausforderungen sehen sich die Firmen derzeit am stärksten konfrontiert?
Der Trend der Digitalen Transformation ist derzeit in aller Munde. Unternehmen müssen sich darauf intensiv vorbereiten und gute Prozesse gestalten, die mit leistungsfähiger integrierter IT unterstützt werden. Hier wissen viele Mittelständler nicht direkt wie sie das angehen sollen, da Erfahrungen fehlen und die Angst vor dem Scheitern groß ist. Durch neutrale Unterstützung kann hier Sicherheit und eine erfolgreiche schrittweise Umsetzung erreicht werden.
Wo befinden sich die häufigsten Fehlerquellen in den Unternehmen und wo liegen Potenziale brach, die noch nicht ausgeschöpft sind?
Unternehmen gestalten Prozesse nicht durchgehend und oft nicht digital integriert. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Ohne gute Qualität der Stammdaten (z.B. Artikel-, Kunden-, Lieferantendaten) entsteht keine Transparenz und damit keine sinnvolle Steuerung der Prozesse. Wenn ich die Leistung der Prozesse messe und die Kosten nicht kenne, merkt ein Unternehmen u.U. gar nicht, dass hier Potenziale verborgen sind. Viele Unternehmen können z.B. die Frage nach Logistikkosten nicht gut genug beantworten.
Kommen wir zu Forschung und Lehre: Sie sind an der Fachhochschule Münster für den Masterstudiengang Logistik verantwortlich. Wie viele Absolventen verzeichnen Sie pro Jahr und wie sind ihre Berufsaussichten?
Die Studierenden wählen wir aus einer Vielzahl an Bewerbern aus, wir schauen uns jedes Jahr ca. 80 Bewerber direkt an, davon erhalten dann 20 bis 25 Studierende einen Studienplatz, die alle auch einen Abschluss machen. Wir wollen eine exzellente, praxisnahe Ausbildung garantieren, dies gelingt nur in einer derartigen Gruppenstärke. Die logistischen Herausforderungen in den Unternehmen wachsen wie die Bedeutung der Logistik. Daher werden gut ausgebildete Fach- und Führungskräfte gesucht. Es hat sich herumgesprochen, dass wir gute Absolventen ausbilden, daher sind die Jobaussichten hervorragend.
Bleiben die Absolventen im Münsterland oder zieht es sie in bestimmte logistikaffine Regionen?
Junge Menschen zieht es nach einem erfolgreichen Studium häufig in größere Städte bzw. Ballungsräume wie Hamburg, München, Frankfurt bzw. das Ruhrgebiet, da dort natürlich auch eine Vielzahl von Arbeitgebern wartet. Hier hat unsere Region Nachholbedarf im Bereich der Vermarktung. Wir haben eine Reihe hochinteressanter Arbeitgeber in der Region und in vielen Städten und Gemeinden kann man hervorragend und bezahlbar wohnen und leben. Dies muss deutlicher herausgearbeitet werden.
Gibt es aktuelle Projekte, bei denen ihr Institut für Prozessmanagement und Logistik mit Unternehmen aus der Region kooperiert?
Die Praxisnähe und die Zusammenarbeit mit Unternehmen aus der Region ist grundsätzlich eine große Stärke der Fachhochschulen. Wir haben die Kompetenzen von sieben Professoren und einer Reihe von Doktoranden aus den Bereichen Logistik, Prozess- und Projektmanagement im Institut für Prozessmanagement und Logistik (IPL) gebündelt. Das IPL hat eine Vielzahl unterschiedlicher Formate, in denen wir mit der Praxis zusammenarbeiten, als Beispiel sei unser Projektstudium erwähnt, wo drei bis fünf Studierende ein ganzes Semester in einem Unternehmen eine konkrete Aufgabe bearbeiten und dabei von einem Hochschullehrer professionell unterstützt werden. Die Praxispartner sind hochzufrieden mit den erzielten Ergebnissen.
Blicken wir in die Zukunft: Das Thema Digitalisierung ist in aller Munde. Was bedeutet Industrie 4.0 aus Logistiksicht?
Hier gibt es bereits heute massive Veränderungen. Alles wird zunehmend digital, wir denken hier an Produkte, Maschinen, Kommunikationsmittel, Mitarbeiter, Daten und vor allem Prozesse. Die Geschwindigkeit, in der dies geschieht, wird immer schneller. Nahezu alle Firmen müssen sich intensiv Gedanken zum Geschäftsmodell machen. Wir als IPL und auch in der Beratung von VuP GmbH helfen Firmen, diese Digitale Transformation erfolgreich zu gestalten.
Welche Auswirkungen hat das Thema auf die Menschen, die in der Branche arbeiten? Sind die Unternehmen und ihre Mitarbeiter hierauf überhaupt vorbereitet?
Hier sehe ich zwei Bereiche, in denen Unternehmen aktiv werden müssen. Zum einen müssen die Menschen in den Unternehmen auf diesen rasanten Wandel vorbereitet werden. Diese Veränderungen führen berechtigterweise zu Ängsten und damit muss man behutsam und konsequent umgehen. Naturgemäß gibt es unterschiedliche Geschwindigkeiten, in denen Mitarbeiter sich auf Neues einstellen können. Ich glaube aber, dass in den Mitarbeitern noch sehr viel Potenzial zu Verbesserung steckt, dieses gilt es zu heben. Zum anderen müssen sich Unternehmen bei neuen Mitarbeitern auf andere Kommunikationsgewohnheiten und Ansprüche einstellen. Die sogenannten Generationen Y und Z erfordern veränderte Arbeitsbedingungen.
Sehen Sie darüber hinaus weitere Trends in der Logistik, die die Branche in den nächsten Jahren beschäftigen werden?
Hier sehe ich im Wesentlichen fünf Megatrends mit großen Auswirkungen auf die Logistik:
- Die Individualisierung der Produkte und Dienstleistungen hat massive Auswirkungen auf Beschaffung, Produktion und Distribution.
- In nahezu allen Bereichen steigt der Anteil an Bestellungen über das Internet, ob wir zum Beispiel an Lebensmittel, Apothekenprodukte oder Möbel denken. Hier müssen sinnvolle Konzepte zur Zustellung der Ware erarbeitet werden, auch der stationäre Handel muss sich mit einem weiteren Vertriebskanal auseinandersetzen.
- Der demografische Wandel ist ebenso ein Megatrend, der vielfältige Auswirkungen auf die Logistik hat. Denken wir hier nur an die Versorgung älterer Menschen sowie die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt der Logistik.
- Die berechtigen ökologischen Forderungen und das Streben nach Nachhaltigkeit werden weiter zunehmen und die Logistik verändern.
- Der wichtigste Megatrend ist die bereits angesprochene Digitalisierung. Denken wir zum Beispiel an den 3D-Drucker. Es ist heute schon möglich, zum Beispiel Ersatzteile aus unterschiedlichen Materialien am benötigten Ort direkt bei Bedarf zu drucken.
Das Interview führte Michael Hemschemeier, Wirtschaft Münsterland.
Veröffentlicht in der Printausgabe Wirtschaft Münsterland 03/2016.
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