Das “Medellín Model” -Wie sich eine Stadt durch Transport transformiert
Das “Medellín Model”
– wie sich eine Stadt durch Transport transformiert –
Wir, Sophia und Anne, sind Werksstudenten bei Vallée und Partner und befinden uns zurzeit in unserem Auslandssemester in Medellín, Kolumbien. Bei Besuchen in den verschiedensten Vierteln der Stadt erleben wir aus erster Hand welchen Einfluss eine gut funktionierende Logistik (in diesem Fall der Transport von Personen) auf das Wohlergehen und die Sicherheit in einer Stadt haben kann.
Die Problemviertel an den Hängen Medellíns
Mit mehr als 2,4 Millionen Einwohnern ist das in einem tiefen Tal gelegene Medellín die zweitgrößte Stadt Kolumbiens. Traurige Bekanntheit erreichte sie während der neunziger Jahre aufgrund des damals wütenden gewaltsamen Drogenkrieges, welcher hier besonders stark zu spüren war – mit den Folgen sowie dem daraus entstandenen negativen Ruf hat die Stadt bis heute zu kämpfen. Auf dem Höhepunkt des Drogenkrieges in Kolumbien war Medellín eine der gefährlichsten und gewalttätigsten Städte der Welt. Noch lange nach dem Tod des Drogenbarons Pablo Escobar hielten soziale Ungleichheit, Armut und Kriminalität die Stadt in Atem. Gleichzeitig stieg die Bevölkerung rasant an.
Die soziale Ungleichheit in der Stadt spiegelt sich auch heute noch in den unterschiedlichen Distrikten wider: Zum einen existiert der wohlhabendere Süden mit einem geordneten, fast schon europäischen Erscheinungsbild und zum anderen der chaotischere, teilweise informelle Teil im Norden und an den steilen Hängen im Osten und Westen, welcher einen Großteil des städtischen Bevölkerungswachstums zu verzeichnen hatte. Medellíns Stadtteile sind aufgeteilt in 16 Comunas. In den Comunas an den Hängen (wie etwa in der Comuna 13 „San Javier“) leben 50% der Bevölkerung, zum großen Teil unterhalb der nationalen Armutsgrenze.
Die Bürger der an den Hängen gelegenen Comunas waren lange Zeit abgeschnitten vom städtischen Transportwesen. Dies nahm ihnen die Chance, an der formellen Wirtschaft im Stadtkern und Süden der Stadt teilzunehmen. Durch die begrenzten wirtschaftlichen Möglichkeiten und die damit einhergehende hohe Armut entstand an den Hängen eine Kultur der Informalität, Unordnung und Gewalt.
In den neunziger Jahren gelang es dem Staat nicht mehr, in diesen Gebieten Kontrolle auszuüben und die soziale Ordnung aufrecht zu erhalten – die herrschende Gesetzeslosigkeit ging so weit, dass nicht einmal die Müllabfuhr bestimmte Comunas betreten konnte. Die staatliche Vernachlässigung, sowie unzureichende Transportmöglichkeiten trieben die Bewohner in soziale und wirtschaftliche Isolation und somit in einen Teufelskreis der Armut.
Urbane Transformation durch neue Transportmittel
In den Zweitausendern begann die Stadt aufgrund ihrer „urbanen Transformation“ auch bekannt als „social urbanism“. erstmals wieder positive Schlagzeilen machen. Drei Projekte, die die nötige Infrastruktur und Rahmenbedingungen für die Verbesserung der Umstände in Medellín und den Comunas schufen, und die wir hier hervorheben möchten, sind die Medellín Metro, das erste Metrocable und die Rolltreppen der Comuna 13.
Die Metro wurde von Norden nach Süden entlang des Flusses von deutschen und spanischen Firmen gebaut und 1995 eröffnet. Als Folge wurde die Zugänglichkeit innerhalb der Innenstadt deutlich verbessert und verschnellert. Heute benutzen täglich rund 460.000 Bürger die Metro, welche eine Strecke von mehr als 30km abdeckt und 27 Stationen anfährt. Eine weitere Linie befindet sich derzeit unter Konstruktion. Das Metronetz besteht zusätzlich aus einer Straßenbahnlinie und zwei Buslinien, die einen schnellen Transit sicherstellen. Als Besucher fühlt man sich in der Metro wie in einer anderen Welt: Normalerweise ist Medellín laut, oft chaotisch und hunderte Eindrücke prasseln pro Sekunde auf einen ein – in der Metro stehen die Leute still nebeneinander, es ist klimatisiert und wer Essen auspackt wird mit vorwurfsvollen Blicken bedacht. Man merkt, wie stolz die Anwohner auf ihre Metro sind.
Integration der Comunas an den steilen Hängen Medellíns durch innovativen Transport
Allerdings war den Comunas an den Hängen der Stadt durch die Metro noch nicht geholfen, da sie überhaupt erstmal in die wirtschaftlich prosperierende Innenstadt gelangen mussten – daher wurden in den neunziger Jahren technische Studien für ein Metrocable (ein Gondelbahnsystem) durchgeführt, welches direkt an die Metrostationen anschließen sollte. Das Ziel war, “die Stadt ihren Bewohnern und den Bewohnern ihre Stadt zurückzugeben“.
Das Metrocable war vergleichsweise erschwinglich in Bezug auf Bau- und Operationskosten, dazu kommt ein weiterer wichtiger Vorteil: Es benötigt nur wenig Bodenfläche in den eng besiedelten Comunas. Das Metrocable von Medellín war das erste Seilbahnsystem weltweit, das als öffentliches Verkehrssystem genutzt wird. Die Gondeln schweben mit etwa 20km/h über die Wellblechdächer der hügeligen Comunas, können pro Kabine 10 Passagiere befördern und verringern die Reisezeit der Pendler um bis zu 75%. Gleichzeitig wurde eine Stadterneuerungsstrategie (einschließlich Sicherheit, Polizeiwachen und Wohnungen) rund um das Metrocable Projekt aufgebaut. Somit konnte der Staat seine Präsenz in den Comunas widerherstellen, die organisierte Kriminalität bekämpfen und gleichzeitig die Mobilitätslücke schließen – mit dem Metrocable gab es für die Bürger der Communas nun eine erschwingliche Alternative zu den Bussen und Taxis, welche in den mangelhaften Straßennetzen der steilen Stadteile nur unzureichend operieren konnten.
Der Erfolg der Metro und des Metrocable für das Wohlergehen der Bürger der Stadt inspirierte auch die darauffolgenden Bürgermeister weiterhin auf sozialen Urbanismus zu setzen. Bürgermeister Salazar baute eine solarbetriebene Rolltreppe im Freien in der Comuna 13, einst die gefährlichste Nachbarschaft der Welt. Die Rolltreppe funktioniert als eine günstigere lternative zum Metrocable, kostete nur 7 Millionen US-Dollar und bietet seit 2011 täglich 12.000 Anwohnern eine angenehme Möglichkeit, die steilen 384 Meter in ihrem Stadtteil zurückzulegen, indem sie die anstrengenden 350 Treppenstufen (fast 30 Stockwerke) ersetzt, die die Bewohner jeden Tag erklimmen mussten. Während die Anwohner für diese Strecke damals eine halbe Stunde brauchten, sind es heute nunmehr sechs Minuten.
Medellín heute: „Es gibt viel, worauf man stolz sein kann“
Heutzutage kann Medellín bei Touristen und Unternehmen mit einer Kultur der Gastfreundschaft, einem Streben nach Innovation und urbaner Transformation und als Gastgeber großer internationaler Konferenzen punkten. Durch das ganzjährige Frühlingswetter, ein ausgiebiges kulinarisches Angebot, wachsende Modeindustrie sowie luxuriöse Hotels und ein ausgiebiges Nachtleben wird die Stadt mehr und mehr zum Touristenziel. Natürlich ist Medellín noch lange nicht vollkommen sicher, gleichmäßig wohlhabend oder frei vom Drogenhandel. Doch die Bewohner sagen, es gibt viel, worauf man stolz sein kann. Zurecht: 2016 gewann Medellín den „World City Prize“ und wurde 2013 außerdem zur innovativsten Stadt der Welt gekürt. Die positive Entwicklung, die Medellín in den letzten Jahren erreicht hat ist ein Vorzeigebeispiel dafür, wie durch logistische Innovationen in urbanen Gegenden gegen soziale Ungleichheit angekämpft werden kann, indem Prozesse des täglichen Lebens vereinfacht werden.
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