Best-of-Breed vs. integriertes System

9. Mai 2018 | Blog, Software

Insel oder Integration

Kathrin Jostarndt und Christian Gerdes über eine Philosophie-Frage

Unsere Experten sehen zwei grundsätzliche Möglichkeiten, sich aufzustellen – ein integriertes Enterprise Ressource Planning System zur möglichst vollständigen Abbildung der Geschäftsprozesse oder der Einsatz funktional umfangreicher vernetzter Speziallösungen zur Abbildung einzelner (Kern-) Prozesse. Beide haben Vor- und Nachteile. Beide haben im Jahr 2018 ihre Berechtigung. Aber wann ergibt welche Herangehensweise Sinn? Wie lassen sich die Vorteile am besten nutzen und welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein? Die ERP-Experten Kathrin Jostarndt und Christian Gerdes stehen Rede und Antwort und tauschen für Sie die zentralen Argumente aus: Best-of-Breed vs. integriertes System.

Frau Jostarndt, welche besondere Dynamik hat die ERP-Branche?

Jostarndt: Wir beobachten, dass die Anforderungen, die ein ERP-System zu erfüllen hat, immer spezifischer werden. Systeme müssen anpassbar und individuell zugeschnitten sein, um auf immer differenziertere und individuellere Kundenanforderungen eingehen zu können.  Es gilt der Anspruch “kleiner – schneller – individueller”. Hierauf und auf die stetig wachsende Vernetzung von Menschen, Maschinen und Produkten, muss der Markt reagieren. Dieser besteht auf der einen Seite aus großen Platzhirschen mit etablierten und sehr bekannten Lösungen, und auf der anderen Seite aus kleinen bis mittelständischen Anbietern mit einem branchenspezifischen Angebot. Hinzu kommen Freeware-Systeme, die webbasiert in der Cloud angeboten werden und Open-Source Lösungen.

Beschreiben Sie für den Leser: Was macht den Best-of-Breed-Ansatz aus?

Jostarndt: Best-of-Breed bedeutet im Grunde nichts anderes als, dass Sie für jeden Zweck und zur Abbildung jedes Geschäftsvorfalls die beste Software-Lösung nutzen. Verschiedene Experten-Systeme sind dabei häufig um ein zentrales, führendes System angeordnet und kommunizieren über Schnittstellen miteinander. Der Vorteil: Es werden echte Spezialisten eingesetzt – Sie können auf die jeweils besten zurückgreifen, die Marktführer in ihrem Bereich sind. Sei es im Vertrieb mit einem separaten CRM, der Produktionsplanung mit einem unabhängigen Produktionsplanungssystem (PPS) oder in der Logistik mit einem Lagerverwaltungssystem (LVS/WMS) zur Abbildung komplexer logistischer Prozesse in Zusammenhang mit automatisierten Lagertechniken.

Schaubild eines Best-pf-Breed-Ansatzes

Zur Person Kathrin Jostarndt:

Kathrin Jostarndt absolvierte ein Studium der BWL an der WWU Münster mit den Vertiefungen Informatik, Marketing und Unternehmenskooperation. Darauf folgte ein Masterabschluss im Fach Logistik an der University of Applied Sciences Münster mit dem Schwerpunkt Prozessmanagement. Ihre Masterthesis befasst sich inhaltlich mit dem Potenzial der Digitalisierung von Prozessen im Rahmen von Industrie 4.0 in der Distributionslogistik der Fashion-Branche. Jostarndt besitzt mehr als ein halbes Jahrzehnt Berufserfahrung im Fashion-Handel und ist Expertin für E-Shop-Management. Sie besitzt außerdem Kenntnisse beim Aufbau und der Realisierung von Projekten aus den Bereichen E-Commerce, Fulfillment, Konzeptionierung und Umsetzung von Multichannel-Maßnahmen im Backend. Seit April 2016 ist die Betriebswirtin ERP-Consultant bei Vallée und Partner und gilt als ausgewiesene Fachfrau für Supply-Chain-Management und die Digitalisierung von Prozessen im Rahmen von Industrie 4.0.

Herr Gerdes, wann spricht man von einem integrierten System?

Gerdes: Ein integriertes System bedeutet, möglichst alle relevanten Geschäftsprozesse eines Unternehmens umfassend und übergreifend in einem einzigen Umfeld abzubilden. Es basiert auf einer einheitlichen Datenbasis und bietet dem Anwender eine konsistente Oberfläche. Das Schulen der Mitarbeiter wird dadurch weniger aufwendig, Kompatibilitätsprobleme und die Anzahl der Schnittstellen nehmen deutlich ab. Unternehmensprozesse werden zudem harmonisiert, da Menschen und Abteilungen sich weiter vernetzten müssen. Ganz zu schweigen von den kaufmännischen Vorteilen, u. a. bei Wartungsverträgen.

Integriertes ERP-System - Insellösung

Zur Person Christian Gerdes:

Christian Gerdes besitzt über 16 Jahre ERP-Erfahrung bei der Projektleitung, Beratung, Vertrieb und Geschäftsführung in ERP-Systemhäusern. Er ist darüber hinaus seit vier Jahren neutraler Berater im ERP/LVS/PPS/CRM-Umfeld bei der VuP GmbH. Schwerpunktmäßig befasst er sich mit der klassischen ERP-Auswahl, ERP-Tuning-Projekten zum Schutz bereits getätigter Investitionen und dem Thema ERP-Audit. Branchenbezogene Schwerpunkte seiner ERP-Beratung sind Industrie und Handel. Für ihn ist es wichtig seine Kunden bestmöglich und realistisch auf ein ERP-Projekt vorzubereiten, um Zeit- und Budgetfallen auf ein Minimum zu reduzieren („Bietet dir jemand ein Projekt ohne Risiken an, lass die Finger davon.“). Christian Gerdes ist zudem für sein Verhandlungsgeschick bekannt, er kennt die kaufmännischen Benchmarks des unübersichtlichen Marktes.

Alles in einem und rundum sorglos: Geht das überhaupt?

Jostarndt: Eine berechtigte Frage. Die Anforderungen, die heute an Softwarelösungen zur Abbildung von Geschäftsprozessen gestellt werden sind häufig so speziell und branchenspezifisch, dass Sie nur schwerlich ein System finden, das diese zu 100% aus dem Standard abbilden kann. Häufig sind aufwendige Anpassungsprogrammierungen notwendig, die zusätzliche Kosten verursachen. Daneben ist es fraglich, ob Sie mit dem Anbieter dieses einen Systems einen für Ihre Branche passenden Partner an der Seite haben, der Sie als Technologietreiber in einem disruptiven und sich schnell verändernden Markt unterstützt und zukunftsfähig macht.

Welche Lösungen haben, aus Ihrer Sicht, welche Vorzüge?

Jostarndt: Best-of-Breed punktet bei der Anforderungserfüllung. Sie suchen sich das für Ihre Bedürfnisse passendste und gleichzeitig schlankeste System heraus. Daneben sehe ich Vorteile im Betrieb der Lösung. Performance-Probleme und Ausfälle haben nicht gleich geschäftskritische Auswirkungen, wenn Teilsysteme und Module zur Abbildung von Kernprozessen parallel genutzt werden können. Die Verteilung von finanziellen Mitteln auf mehrere Partner erhöht zudem die Investitionssicherheit. Der Einsatz unterschiedlicher Software-Lösungen reduziert in der Regel die Abhängigkeit von einem System und damit verbunden von einem Anbieter. Updates, Releasewechsel und der Austausch einer Software sind weniger aufwendig und kostenintensiv. Das Tagesgeschäft ist weniger beeinflusst von Einführungsprojekten und Störungen.

Gerdes: Es gibt durchaus eine andere Sichtweise. Kommt es zu einem Ausfall, so kann es auch in einem Best-of-Breed Ansatz zu für den regulären Geschäftsbetrieb kritischen Situationen kommen, je nach betroffenem Bereich. Ein integriertes System ist aufgrund einer geringeren Anzahl an Schnittstellen insgesamt weniger störanfällig und aufgrund seiner Homogenität stärker belastbar. Dazu besitzt es eine einheitliche Oberfläche und ist standardisiert. Zentrale Funktionalitäten wie z. B. der MRP-Lauf (Materialbedarfsplanung) funktionieren im homogenen Umfeld deutlich charmanter. Außerdem bleiben Sie viel leichter Release-fähig, Updates stehen regelmäßig zur Verfügung. Gegenüber dem Anbieter haben Sie als langfristiger Kunde mit einem entsprechenden Auftragsvolumen eine bessere Verhandlungsposition. Auf der anderen Seite sitzt ein zentraler Ansprechpartner, der Ihnen auch als Berater zur Seite steht und Lösungen anbieten kann. Das spart Zeit, Nerven und auch Geld.

Ist diese Abgrenzung abschließend? Lassen sich die beiden Varianten nicht auch miteinander kombinieren?

Jostarndt: Unbedingt. Sie können das ERP-System als zentrale Applikation verwenden und einzelne Subsysteme anbinden. Dies macht insbesondere für Geschäftsprozesse Sinn, die Ihr Unternehmen einzigartig machen und vom Wettbewerb abheben. Ihre IT-Landschaft sollte Ihre Wettbewerbsposition stärken und ein Schritthalten auf disruptiven Märkten ermöglichen. Vielmehr noch, sollte die IT als Enabler agieren, der permanent Prozesse verbessert und Innovationen in für Sie relevanten Geschäftsbereichen bereitstellen.

Gerdes: Das sehe ich ähnlich. Auch viele Software-Anbieter verfolgen den Ansatz, ihren Kunden neben dem Kernsystem ERP maßgeschneiderte Apps und Einzellösungen anzubieten. Daneben wächst der Markt an Anbietern, die passgenaue und schlanke Branchenlösungen entwickeln. Eine zügige, ressourcenschonende Implementierung wird Pflicht, um auf sich stetig ändernde Anforderungen schnell reagieren zu können. Auch die Entwicklung weg von eigens bereitgestellten Servern hin zur Nutzung cloudbasierter Services zeugt von dieser Strategie. Die Anzahl an Unternehmen, die eine Best-of-Breed Strategie unter Berücksichtigung eines führenden Hauptsystems verfolgen, wird meiner Ansicht nach in den nächsten Jahren zunehmen. Auch wenn in diesem Fall das Enterprise Ressource Planning System immer das zentrale und datenbereitstellende System bleiben sollte.

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